Liebes Europa!
Gestern hat die Schweiz abgestimmt. Zum Entsetzen vieler, zum Erstaunen der Meisten. Entsprechend hoch sind die Reaktionen aus allen Ecken, die wir heute hören. Doch ehrlich gesagt, je mehr ich davon höre, desto mehr kotzen sie mich an, die heuchlerischen Erklärungsversuche, die unterwürfigen Entschuldigungen, die heimlichen Drohungen, das Entsetzen und das vermeintliche Erklären.
Als in der Schweiz geborener Ausländer, der auch nach 39 Jahren noch nicht abstimmen darf, hatte ich mir im Vorfeld zur Inititative gar keine Meinung gebildet. Überrascht war auch ich, als dann gestern der Entscheid gefallen war.
Jedoch, nachdem ich derzeit im fernen Australien bin, bereits einmal tief darüber schlafen konnte, muss ich sagen, ich bin froh über diesen Entscheid, nein, froh ist zuwenig, ich bin Stolz darüber, auch wenn ich sonst mit der SVP gar nicht kann, nicht mit ihrer Art, nicht mit ihrem Ton, nicht mit ihren Inhalten und am wenigsten mit Ihren Leuten (Natalie Rickli ausgenommen, die mag ich).
Stolz bin ich nicht auf die SVP, sondern auf die Schweiz und auf Ihre Wähler.
Man konnte heute mehrfach lesen, die Schweiz sei gar keine „Willensnation“, sondern eine „Nicht-Willensnation“. Das stimmt nicht.
Was leider vielen nicht bewusst ist, ist folgendes.
Es stimmt. Die Schweiz ist keine Nation des Willens, wie es sich Europa vorstellt. Die Schweizer wollen im tiefsten Innern gar nicht Schweizer sein, sie sind es auch gar nicht. Sie sind St. Galler, Zürcher, Romand, Bündern, Walliser, Tessiner, Basler, Innerschwiizer und vieles mehr. Keiner meiner Schweizer Freunde will in erster Linie mit den anderen Schweizern in einen Topf geworfen werden. Was uns Schweizer eint, ist nicht der Wille zusammen zu gehören, es ist der Wille, selbst zu bestimmen, wie wir in unserem Lande leben wollen.
Das ist es, was vor über 700 Jahren dazu geführt hat, dass sich die Vertreter dreier Täler zusammengeschlossen haben. Nicht der Wille zusammenzugehören, sondern der gemeinsame Wille, sich nicht von Ausländischen Herrschern befehlen zu lassen.
Das ist auch was uns heute eint. Mir sind die Genfer egal, die Basler eigentlich auch und wir St. Galler ihnen wiederum wahrscheinlich ebenfalls. Die Walliser die mag ich, die sind witzig, aber die interessieren sich im Gegenzug nicht für uns Üsser-Schwiizer, aber das nehmen wir Ihnen auch nicht übel, Ihr Charm verzeiht Ihnen das.
Was uns eint ist nach wie vor, der gemeinsame Wunsch, selbst zu bestimmen, was wie bei uns gemacht wird. Nicht für alle gleich, sondern am liebsten individuell je Gemeinde, wenn das nicht geht, dann halt je Kanton. Und wenn auch das nicht geht, dann im Notfall halt gesamtschweizerisch auf nationaler Ebene. Wir zeichnen uns durch Fragmentiertheit aus, durch Dezentralität, durch das was wir Föderalismus nennen, die möglichst hohe freiheitliche Selbstbestimmung auf möglichst kleiner geographisch/politischer Einheit.
Soll der Romand machen was er will, der Basler auch, aber wehe, es möchte ihnen ein Ausländischer Herr befehlen was sie zu tun haben oder wie sie es zu tun haben. Das mögen sie nicht und ich auch nicht. Dann stehen wir zusammen. Schulter an Schulter. Alle. Schweizer, Secondo’s und jeder der sich mit dem System Schweiz identifiziert.
Was gestern entschieden wurde, war kein Entscheid gegen Europa. Es war ein Entscheid, etwas das wir nun während einigen Jahren ausprobiert haben (die Personenfreizügigkeit) wieder unter eigene Kontrolle zu bringen.
Die Schweiz hat dieses umwerfend brilliante System, es nennt sich direkte Demokratie. Wenn 100’000 Bürger hier was nicht gefällt, dann können Sie verlangen, dass die gesamte Schweiz darüber abstimmt – gemeinsam einen Entscheid fällt.
Gestern haben viele Schweizer, wahrscheinlich zur eigenen Überraschung mit dem Bauch entschieden. Sie haben sich entschieden, dass sie selbst darüber entscheiden können möchten, zu kontrollieren, wie die Zuwanderung in die Schweiz geregelt werden soll. Dabei haben sie weder fixe Werte noch ein fixes System entschieden, aber sie haben entschieden, dass diese Bereiche zurück in ihre eigene Verantwortung gehören. Weil das System, dem sie bisher zugestimmt hatten, nicht den Ihnen suggerierten Erwartungen entsprach.
Das, liebes Europa, nennt man Demokratie. Es sind Volksentscheide. Etwas das bei Dir leider viel zu wenig vorkommt. Politik sollte nicht dem Bürger vorschreiben, wie er sein Leben zu leben hat, sondern die Wünsche der Bürger umsetzen und wenn sich diese ändern, sollte die Politik dies aufnehmen und adaptieren und nicht von „die Bürger spinnen“ sprechen.
Der Schweiz wurde im Rahmen dieser Diskussion vorgeworfen „Trittbrettfahrer“ von Europa zu sein. Das stimmt so nicht. Im Gegenteil. Ich kenne kein anderes NICHT-EU Land, das sich dermassen solidarisch mit der EU zeigt, sich an ihren Kosten beteiligt, ihr Recht weitgehend übernimmt, ohne selbst direkt mitentscheiden zu können.
Die Schweiz hat sich entschieden, dass ein Teil einer bisherigen Zusammenarbeit für sie so nicht mehr stimmt. Sie hat bewusst in kauf genommen, dass ihr daraus massgebliche Nachteile entstehen können. Das war und ist mutig. Es ist schweizerisch, durch und durch. Denn die Bürgerinnen und Bürger haben gestern entgegen allen Drohungen, Warnungen und Schreckensszenarien entschieden, dass die Hoheit gewisser Entscheide wieder bei Ihr liegt. Es war ein Entscheid für die Schweiz.
Auch wenn ich im ersten Moment enttäuscht war, so bin ich heute stolz und gratuliere der Schweiz, dass Sie zu ihren Grundwerten steht. Die Idee Schweiz entstand vor über 700 Jahren, die der EU ist dann doch einiges jünger. Wenn man die vor noch einigen Jahren vorherrschende Diskussion über Auflösung/Austritt diverser Nationen aus der gemeinsamen Währung, wenn nicht gar Union, in Erinnerung ruft, so tut die Schweiz gut daran, ihre politische Neutralität für die nächsten 40 – 50 Jahre zu bewahren.
Liebes Europa, wir arbeiten gerne mit dir zusammen und wer hierher kommen möchte, um mit zu arbeiten, ist herzlich willkommen. Wer sich aber nicht integrieren will, hat hier bei bereits über 20% Ausländeranteil wirklich nichts verloren.
Um es in gut schweizerischer Tradition auf den Punkt zu bringen:
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Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
in keiner Not uns trennen und Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
- Das schwören wir.